Der Padjelantaleden – Die Legende des kniffelnden Kängurus
Wir haben es wieder getan. Nach einer ersten Wanderung in Schwedisch-Lappland durch den Sarek Nationalpark zog es uns zwei Jahre später erneut in den schwedischen Norden. Diesmal hieß das Ziel: Padjelanta-Nationalpark. Durch diesen Park führt der Padjelantaleden, ein markierter Wanderweg von ca. 140km. Verhältnismäßig einfach zu gehen und auch als reine Hüttenwanderung möglich. Und was unsere Wanderung mit einer Legende über ein kniffelndes Känguru zu tun hat, erfährst du hier ganz nebenbei auch noch. 🙂
Inhalt
Die Idee zum Padjelantaleden
Auf den Padjelantaleden stießen wir bereits 2019. Um in den Sarek Nationalpark zu gelangen, wanderten wir am ersten Tag eine Etappe auf dem kleinen Bruder des Kungsleden. Startpunkt war 2019 wie 2021 die Fjällstation in Ritsem. Auf dieser Erfahrung aufbauend, wussten wir ob der guten Infrastruktur des Weges Bescheid. Bereits beim ersten Besuch waberte die Idee den Padjelantaleden zu begehen bereits in meinem Kopf herum. Die Erfahrungen im Sarek ließen mich dann allerdings vorerst Abstand von Nordschweden nehmen. 😀
Nach einer, diplomatisch formuliert, eigenartigen Wanderung im Jotunheimen in Norwegen, wächst die Sehnsucht nach richtiger Wildnis und netten Menschen enorm. Da Grönland auch 2021 nur kurzfristig möglich gewesen wäre, kommt uns bei der Suche nach einem möglichen Ziel der Padjelantaleden wieder in den Sinn. Gleichzeitig mit der Option, bei Bedarf doch wieder in den Sarek abzubiegen. Denn vom Sarek kannten wir ja nur die verhältnismäßig oft begangene Route von Nordwest nach Südost.
Nach Studium des Büchleins aus der Outdoor-Reihe (ja, auch nach dem Debakel mit dem Buch aus dieser Reihe zum Arctic Circle Trail) sind wir uns einig: 2021 wollen wir auf den Padjelantaleden; wenn es Ein- und Ausreisebeschränkungen zulassen. 🙂
Vorbereitung & Anreise
Ein großer Vorteil sind unsere Erfahrungen bei der Planung der Anreise 2019. Diesmal entschieden wir uns, sowohl Hin- als auch Rückreise mit der Bahn zu fahren (2019 flogen wir den Rückweg: Zeitersparnis bedeutete das nicht). Und bequemer war es auch nicht. Dies bedeutet 36h für die Hinfahrt und 41h für die Rückfahrt. Und nun wussten wir auch, dass ein Liegeplatz im Nachtzug von Stockholm nach Gällivare absolut sinnvoll ist. 🙂 2019 buchten wir nur Sitzplätze… bei einer Fahrt über Nacht eine richtig dumme Idee.
2021 gibt es bei der schwedischen Bahn ein besonderes Corona-Angebot: Ein privates Schlafabteil. Zwar etwas teurer, aber richtig gut. Zu entspannteren Zeiten finden in so einem Abteil 3 Menschen „Platz“. Wir haben es für uns. Mit zwei Personen und Wanderrucksack ist das Abteil dann aber auch voll. Bemerkenswert ist die Möglichkeit, die Tür zuzumachen und seine Ruhe zu haben. Besonders dann, wenn in einer der Zugfahrten vorher, ein mittelaltes Ehepaar gegenüber sitzt. Er spielte mit vollem Körpereinsatz an einer tragbaren Konsole, genüsslich eine Tüte Weingummis schmatzend. Sie schien ihren Gatten in seinem Eifer zu unterstützen und anzufeuern. Ohne Rücksicht auf meine Beine, die ja auch noch irgendwo hin mussten… .
Tipp für die Buchung der Züge
Ebenfalls zum Tragen kam ein Trick, den wir 2019 schon anwendeten. Eine Bahnfahrt aus Deutschland nach Stockholm ist aus unerfindlichen Gründen nicht zu buchen. Was funktioniert: Aus Deutschland eine Verbindung nach Malmö buchen; häufig gibt es dafür auch Europa-Sparpreise. Und dann auf der Seite der schwedischen Bahn (sj.se) die übrige Verbindung ab Malmö buchen. Klappt ohne Probleme und die jeweilige Busverbindung ab/nach Gällivare oder Murjek ist dabei gleich enthalten.
Also, kurze Zusammenfassung: Wenn du mit der Bahn nach Schwedisch-Lappland willst, suche nach dem Nachtzug von Stockholm nach Gällivare. Buche unbedingt einen Liegeplatz! Sich nach einer Nacht und über 12 Stunden Fahrt aus einem unbequemen Sitz zu falten, macht absolut keinen Spaß.
Die Anreise selbst verläuft ohne Zwischenfälle, abgesehen vom angesprochenen schmatzenden, daddelnden Ehemann.
Wanderrichtung auf dem Padjelantaleden
Die Fjällstationen in Ritsem und Kvikkjokk sind uns bekannt, insbesondere die jeweilige Ausstattung. Kvikkjokk hat durch das Restaurant nach einer mehrtägigen Wanderung definitiv mehr zu bieten. Entsprechend entscheiden wir uns für die Richtung Ritsem –> Kvikkjokk. Auch auf die Gefahr hin, dass wir in Kvikkjokk möglicherweise kein Zimmer bekommen würden. Wir vertrauen einfach Mal auf unser Glück.
Grundsätzlich ist der Weg aber auch in der Gegenrichtung begehbar. Rückblickend erscheint diese Variante auch etwas sinnvoller. Mir gefällt das karge Hochland einfach besser, als dichter Wald und steinige Wege. Dazu kommt, dass eine der längsten Etappen (24 Kilometer) in Süd-Nord-Richtung erst kurz vor Ende der Wanderung ansteht. Dafür steigt der Weg aus Kvikkjokk kommend, mehr Höhenmeter an. Und, für uns entscheidend, die Fjällstation in Kvikkjokk klingt wesentlich reizvoller als die spartanische Hütte in Ritsem. Zumindest gingen wir davon aus, bis wir in Kvikkjokk an der Rezeption anderthalb Stunden vor einem Schild standen, dass die Rückkehr eines Mitarbeitenden in wenigen Minuten ankündigte… Doch dazu an späterer Stelle mehr.
Auf dem Padjelantaleden durch das „hohe Land“
Nach der beschriebenen entspannten Anreise, erreichen wir direkt vom Bus das Boot über den großen Stausee Akkajaure. Während der Überfahrt kommt Wind auf. Die Sonne bricht durch tief hängende Wolken. Das beeindruckende Áhkká-Massiv wirkt durch die Szenerie um ein Vielfaches intensiver. Die schroffen Gipfel liefern einen Vorgeschmack auf den rauen Sarek.
Am Anleger angekommen lassen wir uns Zeit. Das Boot ist erstaunlich voll (ca. 40 Personen). Da wir nicht in einer großen Gruppe wandern wollen, vertrödeln wir ein wenig Zeit in der nahegelegenen Hütte. Hier kommen wir ins Gespräch mit der Sami-Hüttenwirtin. Wie gewohnt plaudern wir ein wenig über das Wetter der kommenden Tage. Sieht gar nicht schlecht aus.
Die erste Etappe
Wir sind endlich wieder unterwegs! Ein großartiges Gefühl. Nach kurzer Zeit taucht die erste Hütte mit Übernachtungsgelegenheiten auf: die Akkastugorna. Innerhalb von zwei Jahren wurde diese Hütte um eine Sauna und einen Hubschrauberlandeplatz erweitert. Auch sehr spannend. Kurz hinter der Hütte erreichen wir einen kleinen Fluss. Auf Steinen sitzend legen wir eine erste Pause ein. Die Ruhe, die Natur, der Ausblick auf das Áhkká-Massiv sind eine traumhafte Kulisse. Da wir vor uns Stimmen hören, dehnen wir die Pause ordentlich aus. Denn eilig haben wir es heute nicht mehr. Die nächste Hütte auf dem Weg ist uns mit 16 Kilometern zu weit weg, als dass wir sie an einem halben Tag erreichen wollen. Wir würden uns auf dem Weg eine schöne Stelle für’s Zelt suchen und die erste Nacht in der Wildnis verbringen.
Da aber auch die schönste Pause einmal ein Ende hat, wuchten wir uns die Rucksäcke wieder auf die Schultern. Auf einem gut ausgetretenen Pfad und diversen Bohlenabschnitten genießen wir die Wanderung. Das hohe Gewicht unserer Rucksäcke macht sich allerdings sehr schnell bemerkbar. So unterbrechen wir immer wieder unsere Wanderung für kurze Pausen. Einige erste Zeltgelegenheiten lassen wir zunächst links liegen. Als die Beine schwer werden, tauchen allerdings keine geeigneten Flächen mehr auf. Also schleppen wir uns weiter als wir eigentlich vor hatten.
Nach knapp zehn Kilometern finden wir ein ebenes Plätzchen. Als beim Zeltaufbau die Sonne durch die Wolkendecke bricht, sind die Strapazen des Wanderns schnell vergessen. Wir genießen unser erstes Abendessen und ich spende während des Essens gefühlt einen Liter Blut an die geschätzte Mosquitogesellschaft. 🙂 Die Strapazen der Anreise und der ersten Etappe fordern ihren Tribut. Verhältnismäßig früh am Abend krabbeln wir in unsere Schlafsäcke und schlafen in Minuten ein.
Herrliches Wandern im „hohen Land“
Nach 14 Stunden Schlaf schälen wir uns aus den Schlafsäcken. Den morgendlichen Kaffee genießen wir in Ruhe und Abgeschiedenheit. Denn die Lappland-Mosquitos scheinen Langschläfer zu sein. Auf unserer fünften gemeinsamen Wandertour klappt das Zusammenräumen fast wie von selbst. So sind wir trotz entspannten Abbauens keine zwei Stunden nach dem Erwachen wieder auf dem Padjelantaleden unterwegs. Und hier erleben wir direkt eine Überraschung: Auf unserer Suche nach einem Zeltplatz kamen wir gestern weiter als wir dachten. Denn nach gut einer Stunde stehen wir an einem markanten Punkt:
Die Brücken am Sjnjuvtjudisjåhkå. Dieser Fluss stürzt sich aus dem Sarek in den Vuojatädno, dem Zufluss des Stausees Akkajaure. Dieser Punkt erfreut sich unter Sarek-Wanderer*innen als Ausgang großer Beliebtheit. Von hier lässt sich ein guter Einstieg in die „letzte Wildnis Europas“ finden. 2019 gelangten wir von hier aus ebenfalls in den Sarek. Entsprechend sahen wir dort auch reichlich Zelte stehen. Von hier aus liegt die nächste Hütte keine zwei Kilometer entfernt. Also sind wir am Vortag wohl eher 12-13 Kilometer gelaufen, anstatt 10. An einem halben Tag, mit vollbeladenen Rucksäcken keine schlechte Leistung.
Doch noch in den Sarek?
Als wir in Richtung Hütte auf dem Padjelantaleden weitergehen, schießen mir die Erinnerungen aus 2019 wieder in den Kopf. Ja, die Wanderung vor zwei Jahren war hart. Aber sie bringt mich auch jetzt noch ins Träumen. Fast möchte ich den Vorschlag machen, dass wir unsere Pläne über den Haufen werfen. Wieder in den Sarek, diesmal aber eine andere Route als beim ersten Mal. Das Rapadalen will ich nur noch von oben sehen. 😀 Dann verwerfe ich den Gedanken wieder. Jetzt geht’s erstmal weiter. Mit dem Überschreiten des Flusses befinden wir uns nun auch geographisch im Padjelanta-Nationalpark.
Nach einer Pause an der erwähnten Hütte betreten wir nun Neuland. 2019 wanderten wir bis zur Hütte, übernachteten dort und brachen dann in den Sarek auf. Diesmal folgen wir aber dem Weg. Unser Tagesziel ist der Treffpunkt Padjelanta-/ Nordkalottleden. Die Entfernung von der Hütte aus beträgt etwa 12 Kilometer, was nach der bisherigen Leistung gut zu schaffen sein sollte.
Der Padjelantaleden führt uns über nahezu ebenes Gelände an beeindruckenden Gipfeln zur einen Seite und dem Ufer des Flusses an der anderen Seite entlang.
DER Zeltplatz
Der Padjelantaleden führt uns an einigen Sami-Siedlungen vorbei. In der Ferne sehen wir ein paar Häuser stehen. In Kontakt kommen wir mit den Menschen aber nicht. Früher als gedacht, erreichen wir den Treffpunkt von Padjelanta- und Nordkalottleden. Hier schlängelt sich der Vuojaätno zwischen Sallohaure und Kutjaure durch die Landschaft. Dabei bilden die vielen Verzweigungen einige Inseln aus. Und auf eben einer dieser Inseln wollen wir unser Nachtlager aufschlagen. Nur dass wir gefühlt viel zu früh dran sind.
Die gesamte Etappe bis zur nächsten Hütte würden wir nicht mehr am gleichen Tag schaffen. Oder nur unter ziemlicher Quälerei. Ob sich unterwegs Zeltgelegenheiten bieten, können wir aus unserer Karte nicht ersehen. Wir beschließen einfach an Ort und Stelle zu bleiben. Schließlich sind wir im Urlaub. So lassen wir uns sehr viel Zeit beim Zeltaufbau. Die gewollte Langsamkeit verfängt. Ich merke wie sämtlicher Alltagsstress abfällt. All die Hektik ist auf einmal ganz weit weg. Ein großartiges Gefühl.
Nachteil an einem Verbindungsfluss zwischen zwei Seen: Unfassbar viele Mücken! Während wir unser Essen kochen, sind wir selbst wohl eine willkommene Mahlzeit. Zumindest ich. An dieser Stelle beginne ich die gemordeten Mücken zu zählen. Innerhalb von drei Tagen komme ich auf eine dreistellige Zahl. Und Oleg? Er kommt glaube ich auf zwölf erlegte Mücken. Auf der gesamten Wanderung!
Nächtliches Bedürfnis mit atemberaubenden Ausblick
Ermattet und, zumindest ich, ausgesaugt verkriechen wir uns in die Schlafsäcke. Mein Magen muss sich erst noch an das Trekkingfutter gewöhnen, so dass ich noch recht lange wach liege. Endlich eingeschlafen werde ich mitten in der Nacht wieder wach. Das getrunkene Wasser fordert seinen Tribut. Mißmutig schäle ich mich aus dem kuschelig warmen Schlafsack und steige in die klammen Hosen. Aus dem Zelt gekrabbelt verschlägt es mir den Atem!
Die gesamte umliegende Szenerie ist in Nebel getaucht. Dazu kämpft sich die Sonne durch kleinere Wolkenlücken. Völlig überwältigt krame ich hektisch meine Kamera hervor. Jegliches Bedürfnis ist vergessen. Erst eine gute Stunde später fällt mir wieder ein, was ich eigentlich vor hatte. Kurz darauf verflüchtigt sich der Nebel und der Morgen bricht an.
Als ich Oleg später davon erzähle und ihm die Bilder zeige, macht er mich sehr deutlich darauf aufmerksam, dass ich ihn doch bitte wecken solle! Das hatte ich im Eifer völlig vergessen.
Perfektes Timing und ein schmerzendes Knie
Am Morgen noch bewölkt, kämpft sich die Sonne durch die Wolken. So wandern wir am Abfluss des Sees Vastenjaure entlang und genießen traumhafte Ausblicke. Als wir am See selbst ankommen, steigt der Weg an. Das „Hohe Land“ will seinem Namen ja alle Ehre machen. Auf dem Anstieg treffen wir auf samische Bauarbeiter. Diese ersetzen morsche Bohlen auf dem Padjelantaleden und kommen dabei ziemlich ins Schwitzen.
Unter den Menschen treffen wir auch die Hüttenwirtin unseres Tagesziels. Sie würde noch ein wenig auf der Baustelle helfen. Wir sollen uns in der Hütte einfach ein Zimmer nehmen. Sie kommt später nach.
Bei strahlendem Sonnenschein geht es für uns weiter nach oben. Bis wir den Scheitelpunkt des Weges erreichen. Nun führt uns der Weg ein ordentliches Stück über die Hochebene, ehe es recht steil zu einem weiteren Fluss, dem Låddejåhkå, wieder nach unten geht. Als wir zum Abstiegspunkt kommen, haut mich die Aussicht aus den Latschen. Die Hütte steht auf einem Schwemmkegel des Flusses. Das vermittelt einen imposanten Eindruck der Kraft des Wassers während der Schneeschmelze.
Den Weg nach unten gehe ich in alter Gewohnheit recht flott an. Nach der Hälfte des Abstiegs bekomme ich Schmerzen im Knie. Grundsätzlich nichts Neues. Ich haste also weiter nach unten und habe meinen Spaß. Die Quittung kommt am Abend. Das Knie meldet sich bei jedem Schritt. Auch ohne Schuhe und Gepäck. Ein fieser, unerwarteter und stechender Schmerz beim Nachziehen des Beins. Noch gehe ich davon aus, dass sich das am nächsten Morgen gegeben hat. Weit gefehlt, doch davon später mehr.
Ein Gewitter kündigt sich an
An der Hütte angekommen, beratschlagen wir kurz: Zelt oder Hütte. Ein Blick in den Himmel und fernes aber gut zuvernehmendes Donnergrollen gibt den Ausschlag. Wir belegen das Zwei-Bett-Zimmer in der Hütte. Eine Stunde nach unserer Ankunft öffnen sich urplötzlich die Schleusen des Himmels. Krachend und donnernd fegt ein heftiges Gewitter über uns hinweg. Viel besser konnten wir unsere Wanderung nicht timen.
Unsere Hüttenwirtin hatte weniger Glück. Gegen acht am Abend kommt sie völlig durchnässt an der Hütte an. Das Gewitter hat wohl auf der anderen Seite des Berges eine Weile festgehangen. Der einzige Unterschlupf war das Zelt der Bauarbeiter. Und dass mussten sie sich auch noch mit den völlig verängstigten Hunden teilen. Keine angenehme Erfahrung. Aber so sei das hier oben im Norden eben, fügt sie achselzuckend hinzu.
In der Nacht schüttet es noch mal kurz aber heftig. Innerlich beglückwünsche ich uns zu unserem Entschluss, eine gemütliche Kammer gewählt zu haben. So schlafen wir tief und fest den Schlaf der Wanderer.
Etappe unter Schmerzen
Der kommende Wandertag enpfängt uns zunächst mit reichlich Sonne. Und direkt einem kräftigen Anstieg. Schon nach den ersten Schritten mit Rucksack flammt der Schmerz in meinem Knie wieder auf. Im Laufe unseres Weges nach oben pendeln sich die Schmerzen auf einem nervenzehrenden Level ein: Zu schwach um aufzugeben, zu doll um sie ignorieren zu können. Großartig.
Hinzu kommt, dass sich der Aufstieg ordentlich in die Länge zieht. Außerdem verfinstert sich zunehmend der Himmel und ein ordentlicher Wind kommt auf. Keine Bedingungen um großartig Pause machen zu wollen. Und das Knie schmerzt auf den ersten Schritten nach der Pause intensiver.
Am Scheitelpunkt angekommen begrüßt uns wieder die Sonne. Zwar schneidet der Wind noch ordentlich durch die Klamotten, aber die Aussicht ist wundervoll. Nach dem heftigen Anstieg geht’s direkt wieder ein gutes Stück nach unten. Ich versuche es langsam angehen zu lassen. Aber der Schmerz lässt sich mich immer wieder zusammen zucken. Angenehm ist anders.
Bester Pausenplatz auf dem Padjelantaleden
Und wie schon so oft, wenn mental nicht mehr viel geht, kommt irgendwas und haut dich aus den Socken. In meinem Fall ist es der rauschende Fluss Miellädno. Dieser stürzt sich sehr ansehnlich mit einigen Stromschnellen in den See Virihàvrre. Dazu als Kulisse der mächtige Berg Allak, der mit über 1300 Metern weithin zu erkennen ist. Hier könnte ich Stunde um Stunde verweilen, ohne dass ich den Ausblick langweilige finde. Aber schließlich hat jede Pause mal ein Ende. Auch wenn es sicher der schönste Pausenplatz auf dem gesamten Padjelantaleden ist.
Die letzten knapp 4 Kilometer werden dann aber die Hölle. Egal wie ich mein Bein bewege, der Schmerz wird immer fieser. Meine Laune sinkt entsprechend ins Bodenlose. Als schließlich die Arasluoktahütten auftauchen, bin ich fertig. Ein letzter Abstieg gibt mir weitestgehend den Rest. Die Ankunft in der Samisiedlung Arasluokta hingegen ist sehr herzlich. Wir werden direkt vom Hüttenwirt und seinen Hunden begrüßt. Und Zack, der Schmerz ist weg, zumindest aus meinem Kopf. Schnell bauen wir das Zelt auf und kommen dann erstmals in den Genuss des samischen Fladenbrots. Eine willkommene Abwechslung zu Schokoriegeln und abendlicher gefriergetrockneter Nahrung. Der Platz selbst, das gute Wetter und die Ruhe lassen meine Laune recht schnell den zwischenzeitlichen Keller vergessen.
Von Árasluokta nach Stáloluokta
Die kommende Etappe ist recht kurz. Und Auf- und Abstiege halten sich auch in Grenzen. Außerdem ist Stáloluokta eine größere Sami-Siedlung, in der es auch einen Kiosk gibt. Genug Gründe also, trotz schmerzendem Knie loszugehen.
Das Wetter zeigt sich erneut von seiner besten Seite. Und da der Padjelantaleden leicht erhöht weiterführt, genießen wir sagenhafte Ausblicke auf den Virihaure. Die Sicht lässt sogar zu, dass wir in der Ferne schneebedeckte Gipfel sehen. Diese gehören bereits zu Norwegen. Da die Etappe mit 12 Kilometern verhältnismäßig kurz ist, lassen wir uns reichlich Zeit. Mein Knie dankt es mir immerhin damit, dass der Schmerz sich wieder auf dem Nervpegel einpendelt.
Ein weiterer Vorteil der guten Aussicht: Wir können auf unserem Weg mitverfolgen, wie sich immer dichtere Wolken aus dem Sarek in unsere Richtung schieben. Als die Siedlung in unser Blickfeld rutscht, beginnen wir uns dann doch ein wenig zu beeilen. Denn die Wolken sehen schwer ungemütlich und nach reichlich Regen aus.
Wider erwarten fällt aber kein Tropfen. So buchen wir an der Hütte des BLT (Badjelánnda Laponia Turism, die Sami-Tourismusvereinigung im Padjelanta-Nationalpark) einen Zeltplatz. Mit dem Gedanken am kommenden Tag eine Pause einzulegen. Auch hier gönnen wir uns das sehr schmackhafte Fladenbrot. Und nach dem Zeltaufbau statten wir dem Kiosk einen Besuch ab. Zwei Dosen Limo, zwei Dosen Bier: umgerechnet gute 10€. Kein Wunder, wenn ich bedenke, dass sämtliche Vorräte mit Helikopter oder (im Winter) mit Schneemobil angeliefert werden. Bei unseren Getränken beschließen wir, am kommenden Tag einen Ruhetag einzuschieben.
Ruhetag mit Carl von Linné auf Schwedisch
Unser Tag beginnt mit einem unbeschreiblich kalten, aber großartigen Bad im Virihaure. Nach dem ich kurz vor sechs wach werde, reift der Gedanke an ein Bad in meinem Kopf. Zwar stehen noch einige andere Zelte am Ufer des Sees. Bewegung nehme ich aber nirgendwo wahr. Also Handtuch und Seife gegriffen. Klamotten runter und ab ins Wasser. Die ersten Schritte sind eine Qual. Die späteren auch. Kurz eingeseift und abgespült. Danach wieder in die Kleidung geschlüpft. Lässt sich zwar kaum „Bad“ nennen, sorgt aber für ein tolles Gefühl.
Da sich das Wetter nicht bessert, verbringen wir den Tag mehr oder weniger komplett im Aufenthaltsraum der BLT-Hütte. Dort gibt es neben schwedischen Comics auch ein Buch über Carl von Linné auf Schwedisch. Kann ich zwar weder sprechen noch verstehen. Aber hey, wir haben ja sonst nichts weiter zu tun. Immerhin schaffe ich es sogar bis auf Seite 265. Verstanden habe ich aber nicht viel. 😀
In der Zwischenzeit sprechen wir auch über unsere weiteren Pläne. Wir hatten uns zu Beginn ja offen gelassen, ob wir dem Padjelantaleden bis zum Ende folgen oder ob wir an einer geeigneten Stelle in den Osten des Sarek abbiegen. Auf den ersten Etappen hatten wir in der Tat auch einige gute Wege auf der Karte gefunden. In Anbetracht meines zickigen Knies wollten wir dann aber doch kein Risiko mehr eingehen. Zumal die Runde mit dem, notwendigen, Ruhetag auch ganz schön hektisch geworden wäre. Etwas Puffer aufgrund schlechten Wetters sollte im Sarek selbstverständlich sein. Also stand am Ende fest: Wir belassen es beim Padjelantaleden. Diesem folgen wir bis Kvikkjokk und dann gibt es endlich den Rentierburger, dem wir 2019 ja erfolglos nachgejagt waren.
Regenetappe mit nasser Überraschung am Ende
Der kommende Tag empfängt uns mit dichten Wolken, die nahtlos in Nebel übergeben. Ein spannendes Schauspiel. Als Wanderer allerdings nur mäßig erheiternd. Die kommende Etappe führt von Staloluokta zu den Duottarhütten. 18 Kilometer stetig bergauf.
Mein Knie hat sich soweit wieder beruhigt, dass ich mir die Etappe zutraue. Und nach so einem Ruhetag werde ich allmählich unruhig; ich will dann einfach weiter.
Das schlechte Wetter sorgt dafür, dass wir erstaunlich schnell voran kamen. Pausen gibt es nur dann, wenn wir Hunger oder Durst verspüren. Die Gegend sieht zwar reizvoll aus. Durch den stetigen Regen findet sich nahezu kein trockenes Plätzchen zum Sitzen. Und auf Fotografieren habe ich bei diesem Wetter auch keine Lust. So kommen wir Kilometer für Kilometer voran.
Kurz vor dem Ende der Etappe verspricht uns unser Büchlein zum Padjelantaleden zwei Furten, die es zur Hütte zu überqueren gilt. Gespannt laufen wir auf die kommenden Furten zu. Als die Hütte bereits in Blick kommt, sind wir allerdings noch lange nicht da. Der Weg macht einige schwungvolle Kurven und lässt uns dann unvermittelt vor einem breiten Flussbett stehen. Da wir durch den Regen eh schon reichlich Wasser abbekamen, verzichten wir auf das Wechseln der Schuhe. Bei der ersten Furt klappt das auch ganz gut. Der Fluss hat zwar Geschwindigkeit, ist aber nicht sonderlich tief. An der zweiten Furt sieht das ganz anders aus. Nach einigen Schritten stelle ich fest: Schuhwechsel wäre durchaus eine sinnvolle Option gewesen. Als mir kurz das Wasser von oben in den Stiefel läuft, habe ich aber auch das Schlimmste schon hinter mir.
Die vermutlich beste Hütte auf dem Padjelantaleden
Durchnässt und müde klopfen wir beim Hüttenwirt an die Tür. Wir sind die ersten Wanderer, die an diesem Tag ankommen. Entsprechend hat der gute Mann auch eine Hütte für uns frei. In unserer Behausung angekommen werfen wir den Ofen an und hängen unsere Regenklamotten auf. Glücklich wieder im Trocknen zu sein. Und körperlich auch ziemlich ausgelaugt. Erstaunt stellen wir fest, dass wir nur gute sechs Stunden für die Etappe brauchten. Unsere Hütte selbst steht sehr günstig. Aus einem Fenster heraus können wir beobachten, wie sich andere Wanderer an der letzten Furt schlagen. Ein ausgesprochen unterhaltsames Abendprogramm. 😀
Am Abend ziehen immer wieder Wolken über die Hochebene. So entstehen tolle Lichtstimmungen und Bilder. Ein wahrer Genuss als Fotograf. Besonders, wenn man auch melancholische Bilder mag. Mich fasziniert die Kargheit noch immer. Diese Stille, diese Weite und Abgeschiedenheit. Ein herrlicher Flecken Natur. Später erfahren wir, dass der Hüttenwirt der Duottarhütten wohl seit Jahren derselbe ist. Jedes Jahr aufs Neue bewirbt er sich für die guten drei Monate. Ich kann’s verstehen. Und besonders bei trübem Wetter, versprüht die Landschaft ihren ganz eigenen Zauber.
Von der Duottar- zur Dareluopalhütte
Die kommende Etappe starten wir bei trübem Wetter. Aber es regnet nicht mehr. Mein Knie gibt die üblichen Nervschmerzen von sich. Dennoch starten wir gut ausgeruht in die letzte reine Padjelantaleden-Etappe. Am darauffolgenden Tag würden wir die Grenze des Padjelantal-Nationalparks überschreiten. Der Weg geht zwar noch weiter, der Nationalpark aber nicht.
Der Weg selbst verläuft unspektakulär, bis wir an den finalen Abstieg zu den Hütten gelangen. Wie 2017 auf dem Laugavegur lüftet sich wie von Geisterhand der graue Wolkenschleier. Die Aussicht ist einfach phantastisch. Die Hütten sind ebenfalls schon zu erkennen. Der Abstieg sorgt zwar noch mal für ordentlich Schmerzen, verläuft aber problemlos. Unterwegs treffen wir zwei Wanderer. Sie wollen Angeln und einfach für ein paar Tage von ihrem Fang in der WIldnis leben. Eine Route haben sie nicht. Sie folgen einfach den Fischen. Wenn man Angeln mag, eine tolle Idee.
An der Hütte erwartet uns eine Überraschung: Der Hüttenwirt ist uns bereits bekannt. Diesen trafen wir 2019 bei unserer Wanderung durch den Sarek. Seinerzeit betreute er die Gisurishütten, die erste Station, die wir damals schon auf dem Padjelantaleden liefen. Und tatsächlich, er erkannte uns nach einem Moment auch wieder. Er wies uns eine gemütliche Hütte zu. Dort fanden wir zu unserer Freude, sieben Würfel.
Eine Legende wird geboren
Nachdem wir uns häuslich eingerichtet haben, kommen wir auf die Idee mit den Würfeln zu kniffeln. Das Mitschreiben übernehme ich digital auf meinem Telefon. Nach den ersten beiden Runden kommen wir auf den Gedanken, unseren stetigen Reisebegleiter (oder viel mehr stetige Reisebegleiterin…) am Spiel teilhaben zu lassen.
Ich übernehme im ersten Spiel die Rolle des besserwisserischen Känguruhs. Während ich die Würfel noch ordentlich durch schüttle, witzeln wir über einen möglichen Kniffel im ersten Wurf. Laut klappernd poltern die Würfel auf den Tisch. Jeder einzelne Würfel zeigt eine „6“! Kurzes, ungläubiges Staunen. Dann schallendes Gelächter. Das Känguru startet tatsächlich mit einem 6er Kniffel ins Spiel. Darauf folgen im weiteren Verlauf des gleichen Spiels zwei weitere Kniffel. Noch einer mit 6en und ein anderer mit 3en.
In Zurückhaltung übend, bezeichnet sich das Känguru seitdem selbst als Kinffellegende und -profi von Weltrang. Es ist seitdem nur mit uns auf Reisen, um uns das Kniffelfürchten zu lehren.
Fünf der Würfel nehmen wir mit. So ein kleines Spiel ist am Abend eine willkommene Abwechslung und das Gewicht hält sich in Grenzen.
Unterschied BLT und STF
Die kommende Etappe führt uns zur Såmmarlappahütte. Diese liegt schon außerhalb des Padjelanta-Nationalparks und wird nicht mehr von der Sami-eigenen Touristenvereinigung betrieben. Hierfür ist der schwedische Wanderverein zuständig, der STF. Damit verändert sich auch die Verantwortung für den Padjelantaleden.
Zunächst genießen wir immer wieder spektakuläre Ausblicke auf den südlichen Teil des Padjelanta. Der Weg führt uns etwas erhöht durch das Flusstal des Darreädno. Das Wetter zeigt sich zwar wieder von der trüben Seite, aber es bleibt trocken. Und wir staunen ein ums andere Mal über die Vielzahl an unterschiedlichen Grüntönen. Da die Etappe nur eine Länge von 15 Kilometern hat, lassen wir uns jede Menge Zeit und genießen das Wandern.
Eine Brücke über einen unbenannten Fluss markiert die Grenze
Schließlich kommen wir an einen breiten Zufluss des Darreädno. Ein paar Infotafeln informieren über die Sami-Kultur und die Grenze des Nationalparks. Und damit endet auch der Komfort eines gut markierten und ausgebauten Wanderweges.
Die Knochenarbeit des Bohlenverlegens scheint der SFT nicht sonderlich priorisiert zu haben. Oder kann/will dies nicht für den südlichsten Teil des Padjelantaleden übernehmen. Teilweise sind die Bretter derartig vergammelt und zugewachsen, dass sie kaum noch zu erkennen sind. Grundsätzlich kein Problem. Sollte man nur einfach wissen. Richtig fies wird es aber dann, wenn es ein wenig bergab geht und die gammligen Bohlen feucht sind. Ich für meinen Teil bin so richtig schön ausgerutscht und habe mich ordentlich lang gelegt. Seitdem ist einer meiner Wanderstöcke verbogen. Schlimmeres ist zum Glück nicht passiert. Lustig ist das aber auch erst hinterher.
Dazu kommt, dass sich nun auch die Landschaft verändert. Domierten bisher karge Hochlandgewächse, laufen wir nun immer wieder durch dichte Wälder mit reichlich Unterholz. Erinnerungen an das Rapadalen werden wach. Ebenfalls nicht so angenehm: Das dichte Gestrüpp nimmt die Sicht für die Umgebung.
Über das „richtige“ Trekking
So sind wir schließlich froh, als wir die Hütte erreichen. Zeitlich kommen wir allerdings etwas ungelegen. Der Hüttenwirt begrüßt uns nur kurz mit der Info, wo wir das Zelt hinstellen können. Er zieht es mit seiner Familie vor, ein Bad im Fluss zu nehmen.
Während des Zeltaufbaus kommen wir mit einer schwedischen Familie ins Gespräch. Sie haben sich mit dem Hubschrauber an den Duottar-Hütten absetzen lassen. Von dort wollen sie am verlängerten Wochenende in zwei Tagesetappen nach Kvikkjokk laufen. Sehr sympathische Leute. Als Oleg später mit dem Satellitentelefon in die Heimat telefoniert, dürfen wir uns ein paar Frotzeleien anhören. Von wegen mit Satellitentelefon zu wandern sei kein echtes Trekking. Kurz darauf befördert er Wein, Gläser, Käse und Brot aus seinem Rucksack. 😀 Die Antwort unsererseits ließ nicht lange warten. Zusammen brechen wir in schallendes Gelächter aus.
Der Zeltplatz am See
Die vorletzte Etappe des Padjelantaleden erstreckt sich über 19km. Die letzte Etappe der Einteilung des Buches folgend nur noch 13. Wir beschließen, dass wir nicht bis zu dieser Hütte laufen, sondern vorher einen im Buch angepriesenen Zeltplatz direkt am See Darràvrre suchen wollen.
Zunächst führt der Weg aber durch dichtes Unterholz. Die Markierungen sind kaum zu erkennen und die ausgetrockneten Flussbetten sorgen für reichlich Verwirrung. Wie wir es ohne allzu große Umwege immer wieder schaffen, auf den Weg zu kommen, erscheint mir im Nachhinein doch schon ein wenig glücklich. Vom guten Wetter bekommen wir im Wald zunächst nicht viel mit.
Bald steigt der Padjelantaleden aber sanft an. So dass sich immer mal wieder schöne Ausblicke ergeben. Recht unvermittelt stehen wir auf einem großen Geröllfeld mit spärlicher Vegetation. In der Ferne hören wir einen Fluss rauschen. Nach einigen Hundert Metern stehen wir an selbigem und stellen fest, dass wir durch ein trockenes Flussbett laufen. Das nötigt mir dann aber doch einigen Respekt ab. Zur Schneeschmelze ist dieser Teil des Weges vermutlich unpassierbar.
Da die Sonne aber ordentlich vom Himmel knallt, kommt das kühle Fußbad sehr gelegen. Die ersten Schritte sind wie immer unangenehm. Danach wartet als Belohnung aber eine ausgedehnte Pause in der Sonne.
Am Ufer des Darràvrre
Recht früh am Nachmittag erreichen wir eine weitere Hütte des STF. Kurz überlegen wir, hier zu campieren. Wir entscheiden uns aber dagegen. Dadurch würde die letzte Etappe zu lang. So bleibt es bei einer längeren Pause am Seeufer.
Der Weg führt uns immer wieder dicht am Seeufer des Darràvrre entlang. Dem Buch zufolge befindet sich der vorgeschlagene und empfohlene Zeltplatz am südöstlichen Ufer. Unterwegs kommen wir an einigen einladenden Stellen vorbei. Doch wir haben uns jetzt in den Kopf gesetzt, den direkten Uferplatz zu wählen.
Gefühlt kommt dieser aber einfach nicht in den Blick. Meine Laune sinkt rapide. Wir haben einige wirklich schöne Plätze links liegen gelassen. Und seit einer Stunde kommt einfach gar keine geeignete Stelle mehr. Als wir eine Landzunge sehen, biegen wir vom Weg ab. Dort angekommen zieht es ordentlich. Der Boden ist sandig und die Stelle irgendwie wenig reizvoll. Wir irren bestimmt eine halbe Stunde umher, finden aber nicht die angegebene Stelle.
Also zurück auf den Weg. Die Laune sinkt weiter. Als wir dann doch schon ziemlich fertig sind und den See fast hinter uns lassen, taucht aus dem Nichts eine Lichtung am Ufer auf. Ein kleiner Trampelpfad führt vom Padjelantaleden genau in die Richtung der Lichtung. Ohne groß nachzudenken folgen wir dem Pfad und finden einen großartigen Zeltplatz. Nach dem Aufbau stellen wir fest: Dies ist die Stelle aus unserem Buch.
Der letzte Abend in der Wildnis
Die Laune steigt schlagartig. Die Sonne tut ihr übriges. Auf dem See erkennen wir ein Paddelboot. Eigentlich fehlt nur noch ein Elch. An Ruhe und Friedfertigkeit ist die Szenerie kaum zu überbieten. Recht schnell verschwinden auch die nervigen Stunden durch das dichte Unterholz aus dem Gedächtnis. Kaum wahrnehmbar verlangsamt sich mein Denken. Ich bin einfach nur da. Und genieße die Aussicht.
Später hole ich noch die Kamera aus dem Zelt. Und auch dabei vergesse ich wirklich alles um mich herum. Ohne es zu wissen, genießen wir unseren letzten Abend in der schwedischen Wildnis. Viel besser hätten wir es nun wirklich nicht mehr treffen können.
Völlig zufrieden kriechen wir erstaunlich spät in unsere Schlafsäcke.
Kvikkjokk? Nee! Årrenjarka!
Der Morgen beginnt so friedlich, wie der Abend endete. Allerdings sorgt der klare Himmel für reichlich frostige Temperaturen. Alsbald schiebt sich die Sonne Stück für Stück höher und beginnt erstaunlich schnell für Wärme zu sorgen. Auch unser Zelt wird so recht schnell die Feuchtigkeit los. Das hat mich in der Geschwindigkeit dann doch etwas überrascht.
Da aber auch die schönste Pause mal ein Ende nimmt, begeben wir uns auf unsere Schlussetappe. Unser Plan sieht folgendes vor:
- an der Njunjeshütte eine längere Pause einschieben
- bis zum Bootsanleger weiterlaufen
- am Bootsanleger nach Möglichkeit das Zelt aufschlagen und am nächsten Tag nach Kvikkjokk fahren
- in Kvikkjokk ein Zimmer beziehen und endlich unsere Zähne in einen Rentierburger schlagen.
Nach einem unerwartet anstrengenden Anstieg kommt die Njunjeshütte bereits in den Blick. Die Aussicht vom Bergrücken in die nähere Umgebung raubt uns nach der Kraxelei erneut den Atem. So schieben wir hier bereits eine längere Pause ein. Der folgende Abstieg zur Hütte ruft seit längerem mal wieder mein Knie auf den Plan. Es entscheidet sich das Nervlevel zu verlassen und mal ein wenig nachzulegen. Entsprechend langsam gehe ich den Abstieg an.
An der Hütte angekommen werden wir freundlich von der Hüttenwirtin empfangen. Sie bricht gerade zu einem Tagesausflug auf. Im Anschluss kommen wir mit einem Paar aus Hamburg ins Gespräch. So verlängert sich unsere Pause, was meinem Knie dann doch ganz gut tut. Von den beiden erhalten wir auch die Info, dass der Weg nach der Hütte durch reichlich Wald führt und eigentlich nur auf dem ersten Kilometer interessant ist.
Wald. Und Steine. Und zur Abwechslung Steine und Wald.
In der Tat: Nach dem ersten Kilometer kommen wir in einen lichten Wald. Hin und wieder gibt es Wildwiesen, die zumindest für etwas Abwechslung sorgen. Und auch auf die ersten Ferienhäuser treffen wir. Deutliche Anzeichen, dass wir uns in Richtung Zivilisation bewegen.
Der sehr steinige Pfad und der anfangs noch spannende Wald verlieren schnell an Reiz. Das Wandern wird eintönig und nimmt gefühlt kein Ende. Immer wieder gleichen wir unseren Standort mit der Karte ab. Das sorgt auch nicht gerade für bessere Laune. Denn augenscheinlich kommen wir so gut wie gar nicht voran. Aber auch der endlose Steinpfad hat irgendwann ein Ende. Über zwei Brücken gelangen wir schließlich an den Bootsanleger.
Ein Schild informiert über die Abfahrtszeiten. Das letzte Boot fuhr um 13:30 Uhr. Wir kamen also eine gute Stunde zu spät. Die nähere Umgebung lädt allerdings auch nicht unbedingt zum Zelten ein. Ja, es gibt kleinere Plätze für Zelte. Aber irgendwie haben wir keine Lust das Ende unserer Tour unnötig herauszuzögern. Auf dem Schild der Abfahrtszeiten ist eine Telefonnummer vermerkt. Und in der kleinen Hütte finden wir ein mobiles Telefon. Kurzentschlossen rufen wir die eingespeicherte Nummer an. Ja, wir würden abgeholt werden, zahlen dann aber 100 schwedische Kronen mehr als bei einer regulären Fahrt. Den Aufpreis nehmen wir in Kauf.
Keine Stunde später nehmen wir die letzten Meter zur Fjällstation unter die Sohlen.
Ein Schild sorgt für Frust – und bringt eine Überraschung
In der Station angekommen begrüßt uns an der Rezeption ein Schild: „I will be back in a few minutes.“ Die angekündigte Rückkehr in wenigen Minuten zog sich wie Kaugummi. Gute anderthalb Stunden später verirrte sich dann doch ein Mensch an die Rezeption. Kommentar- und entschuldigungslos entfernt die Person das Schild und geht routiniert seiner Aufgabe nach. Stirnrunzeln bei uns. Nein, ein Zimmer oder zwei Betten sind nicht mehr frei. Wir könnten aber unser Zelt auf einer Wiese aufschlagen. Nein, die Duschen dürfen wir nicht mit benutzen. Corona-Bestimmungen.
Frustriert und genervt überlegen wir. Da ich in Kvikkjokk wieder Empfang mit meinem Telefon habe, suche ich kurzentschlossen nach einer Alternative. Årrenjarka schlägt mir die Suche vor. Dort gibt es Hütten, Häuser, Hotelzimmer und einen Zeltplatz. Problem: die knapp 20 Kilometer Entfernung zu Kvikkjokk.
Dennoch rufe ich einfach mal durch. Ja, es ist noch Platz vorhanden. Allerdings nur in einem Hotelzimmer(!). Die Kosten übersteigen den Preis eines Mehrbettzimmers in Kvikkjokk nur geringfügig. Ich nehme das Angebot an. Gegen einen geringen Aufpreis können wir auch ein Frühstück bekommen. Auch das nehmen wir. Zum Abschluss noch die entscheidende Frage: Wie kommen wir nach Årrenjarka? Gar kein Problem, heißt es am anderen Ende der Leitung. Es gibt einen kostenlosen Shuttleservice! 😀
Årrenjarka – wir sind im Paradies!
Nach etwas Wartezeit werden wir von einem stattlichen Pickup abgeholt. Der Fahrer ist freundlich aber nicht aufdringlich. Die 20 Minuten Fahrtzeit sind landschaftlich ein Traum. Als wir dann auf die Einfahrt der Anlage einbiegen, fallen uns fast die Augen aus dem Kopf. Årrenjarka Fjällby liegt auf einer kleinen bewaldeten Halbinsel. Kleine Hütten verstecken sich zwischen den Bäumen. Unproblematisch (und ohne Wartezeit!) checken wir ein. Unser Fahrer bringt uns auch noch in unser Hotelzimmer. Rustikal eingerichtet, dennoch modern. Und das Beste: Wir haben ein eigenes Bad! Eine eigene Dusche!
Mit einem Duschbier versorgt, nutze ich das warme Wasser bestimmt eine gute dreiviertel Stunde lang. Den restlichen Abend verbringen wir in der Rezeption beziehungsweise im dazugehörigen Aufenthaltsraum. Im Winter wird dieser wohl durch einen wahrhaft gigantischen Kamin geheizt. Ich setze Årrenjarka Fjällby auf meine Liste von Orten, die ich definitiv noch einmal besuchen will. Am liebsten im Winter.
Zwei volle Tage haben wir noch zur Verfügung. Diese nutzen wir, um uns gleich zweimal an einem oppulenten Elchburger zu verköstigen. Die restliche Zeit erkunden wir die kleine Halbinsel und lassen uns vom schwedischen Fernsehen berieseln. Ein herrlicher Ausklang unserer Wanderung.
Die Rückfahrt
Am Abend vorher erkundigen wir uns noch an der Rezeption, ob der Bus nach Jokkmokk auch in Årrenjarka hält. Die nette Person ruft im Busunternehmen an um sich zu informieren. Ja. Der Bus hält normalerweise an der Straße, etwa 600m entfernt. Da neben uns aber noch ein paar andere Menschen den Bus nehmen wollen, wird der Busfahrer direkt auf das Gelände fahren.
Die Rückfahrt selbst verläuft weitestgehend unspektakulär. Im Nachtzug von Gällivare nach Stockholm beziehen wir wieder ein Schlafabteil für uns. Am nächsten Morgen werde ich von einer seltsamen langen Pause wach. Wir erfahren, dass es wohl in Südschweden heftige Regenfälle gab. Die direkte Strecke nach Stockholm ist gesperrt. Letztlich erreichen wir unseren Anschlusszug aber doch noch rechtzeitig. Die übrige Reise verläuft weitestgehend ereignislos, bis wir am Abend wieder in Kiel eintreffen.
Fazit zur Wanderung auf dem Padjelantaleden
Die Wanderung ist eine absolute Empfehlung! Landschaftlich sehr reizvoll, wenn man die rauhe Natur des Nordens mag. An- und Abstiege halten sich in Grenzen. Und im Vergleich zum großen Bruder, dem Kungsleden, ist der Padjelantaleden nur sehr spärlich begangen. Der Zustand im Sami-Gebiet des Nationalparks ist dennoch herausragend!
Ich persönlich war am Ende schon ein wenig geknickt, dass mein Knie keine Route durch den Sarek zuließ. Aber der Padjelantaleden war als „Trostpflaster“ keineswegs eine schlechte Wahl. Besonders für wenig erfahrene Menschen kann der Wanderweg ein toller Einstieg in den hohen Norden sein. Dafür wartet der Padjelantaleden mit einer guten Infrastruktur und einer guten Kennzeichnung über weite Teile der 140km auf. Dennoch sollten sich auch Anfangende bewusst sein, dass Infrastruktur nur heißt: Es gibt Hütten. Ohne Strom. Bis auf Staloluokta auch keine Einkaufsmöglichkeiten. 🙂
Menschen, die ebenfalls von Ritsem nach Kvikkjokk laufen, kann ich nur wärmestens die Unterkunft in Årrenjarka ans Herz legen. Freundlich, kompetent und wirklich sehr darum bemüht den Gästen einen schönen Aufenthalt zu bieten, war der kurze Aufenthalt für uns dort wie eine Wohlfühloase. Und der Elchburger ist, so man nicht auf Fleisch verzichtet, eine absolute Empfehlung.
Die Hütten des BLT sind spartanisch aber sauber. Und mit etwas Glück bewohnt man diese allein. Anfang August jedenfalls, waren nicht sonderlich viele Menschen auf dem Padjelantaleden unterwegs. Vom Kungsleden hörten wir ganz andere Geschichten. Und die ausgebuchte Fjällstation in Kvikkjokk sprach ja auch Bände.
Wenn du noch Fragen zum Padjelantaleden hast, so lass es mich wissen. Schreib mir gern eine Mail oder hinterlasse mir einen Kommentar.
Hallo
Danke für den Text.
bin Ende September 2021 von Kvikkjokk bis Kutjaure den (fast) selben Weg gegangen und kann die Faszination bestätigen. (3 mal Nothütte, sonst Zelt).
Purer Indiansummer in allen Wetterlagen.
Marie
Hallo Marie,
oh ja, im Herbst ist es da bestimmt richtig großartig. Warst du allein unterwegs?:) Und genau deswegen wollen wir dieses Jahr in der zweiten September-Hälfte wieder in den Sarek. 🙂
Hallo!
Weißt du noch, welche Routen für euch in Frage gekommen sind, um in den Sarek abzubiegen? Ich würde die beiden Touren diesen Sommer gerne kombinieren. Bin noch kein allzu erfahrener Wanderer, wenn auch kein Anfänger.
Liebe Grüße
Daniel
Moin Daniel,
ich meine, wir wollten zwischen der Duottar- und der Dareluopalhütte in den Sarek einbiegen. Und von da aus durch den Sarek nach Kvikkjokk. Allerdings würde ich das nur empfehlen, wenn du schon mal im Sarek warst. Denn besonders der südliche Teil hat es ziemlich in sich. Wenn es dir noch an Erfahrung mangelt, würde ich folgendes vorschlagen: Starte in Kvikkjokk und laufe den Padjelantaleden Richtung Norden bis zur Dareluopalhütte. Der Padjelantaleden macht danach einen Bogen nach Westen. Du gehst aber weiter nach Norden. Dort kommst du wohl ganz gut in den Sarek hinein. Und dann suchst du dir eine Route Richtung Ritsem. Die Routen im Nordwesten des Sarek sind etwas besser und leichter zu wandern.:) Kennst du das Grundsten-Buch? „Sarek – Trekking in Schweden“ ist die absolute Pflichtlektüre.
Hilft dir das?
Grüße Konrad